In der Vormoderne war zu Erdbeben und ihren Folgen kein naturwissenschaftlich gesichertes Wissen vorhanden. Erklärungsmuster schwankten zwischen proto-naturwissenschaftlichen Ansätzen und straftheologischen Begründungen, wobei für die deutschsprachigen Zeit- genossen des 18. Jahrhunderts das Erdbeben von Lissabon 1755 ein Schlüsselereignis darstellte, das bei vielen den Glauben an einen gütigen Gott erschütterte. Die Gefahr von Stadtbränden dagegen war – zumindest in Mitteleuropa – eine alltägliche und greifbare Bedrohung, die für eine Stadt eine existenzielle Katastrophe bedeuten, von den Bewohnern aber verhindert oder bekämpft werden konnte.
Im geplanten Vortrag werden in einem ersten Teil die Vielfalt und die Entwicklung des Bestands an Wissen und Praktiken zu Erdbeben und Stadtbränden - einerseits in selbständigen Werken, andererseits in Fachpublikationen wie dem Bremischen Magazin zur Ausbreitung der Wissenschaften, Künste und Tugend und den Göttingischen Gelehrten Anzeigen – untersucht. Von frühneuzeitlichen Gelehrten wie Georg Agricola, René Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz wurde häufig eine Verbindung zwischen vulkanischen Aktivitäten bzw. Feuer und Erdbeben gezogen, gleichzeitig erwähnt z.B. Zedlers Universal-Lexicon (Bd. 8, 1734) den Einfluss von unterirdischem Wasser und starker Winde auf die Entstehung von Erdstößen. Die Untersuchungen hinsichtlich des Feuers bezogen sich einerseits auf die Entstehung von Bränden, z.B. durch Blitze, die durch die neuartige Erfindung des Blitzableiters gezähmt werden konnten. Andererseits wurden die besten administrativen und technischen Möglichkeiten der Vorbeugung und Bekämpfung von Bränden im Rahmen der „guten Policey“ behandelt.
Eine zweite Beobachtungsschiene des Vortrags stellen Wahrnehmungen und Deutungen, aber auch die Rezeption des vorhandenen Wissens der Gelehrten sowie Praktiken des Umgangs und die Motive der beteiligten Akteure hinsichtlich einer fernen und einer nahen Naturgefahr dar. Fallbeispiele hierfür sind das protestantische Braunschweig und das katholische Würzburg. Dabei werden bildungsbürgerliche Periodika wie die Braunschweigischen Anzeigen, aber auch Predigten, Kupferstiche und archivalische Quellen herangezogen und interpretiert.
Insgesamt soll am Beispiel von Erdbeben und Stadtbränden die Parallelität natur- wissenschaftlicher, theologischer und alltäglicher Erklärungsmuster für natürliche Phänomene dargestellt werden, die das Weltbild der Menschen des 18. Jahrhunderts prägten. Es wird untersucht, inwiefern sich im Verlauf des Jahrhunderts der Aufklärung der Blick auf und der Umgang mit zwei gegensätzlichen Naturgefahren veränderte und welche Rolle die räumliche Distanz dabei spielte.