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 Catastrophes, menaces et risques naturels

Natur und Umwelt: Risiken, Gefahren und Katastrophen

 

Congrès de l'AGES  -  10-12 juin 2021  -  MSH Clermont-Ferrand

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Auf dem Weg in eine „Katastrophenverdrängungsgesellschaft“ und zurück? Formen und Konjunkturen der Erinnerungskultur(en) an Katastrophen vom 18. Jahrhundert bis heute
Christian Rohr  1  
1 : Historisches Institut, Universität Bern

Der deutsche Mediävist und Kulturhistoriker Arno Borst beschäftigte sich in seinem 1981 in der Historischen Zeitschrift erschienenen Aufsatz „Das Erdbeben von 1348. Ein historischer Beitrag zur Katastrophenforschung“ schon früh mit der Erforschung einer historischen Naturkatastrophe. In einer eher beiläufigen Nebenbemerkung stellte er dabei die These auf, dass heutige Gesellschaften in Europa den Umgang mit Naturkatastrophen weitgehend aus ihrem Alltag gestrichen hätten und wir gleichsam zu einer „Katastrophenverdrängungsgesellschaft“ geworden seien. Dies stehe im Gegensatz zu vormodernen Gesellschaften, welchen das Risiko von Bränden, Naturkatastrophen, Witterungsanomalien, etc. weit eher in ihren Alltag integriert hätten. In der Tat lassen sich in vielen Gesellschaften, die einem immer wiederkehrenden Naturrisiko ausgesetzt sind, „cultures of disaster“ (Greg Bankoff) feststellen, seien es „Überschwemmungskulturen“ an den Flüssen Mitteleuropas und an der Nordseeküste in der Vormoderne oder „Erdbebenkulturen“ im mediterranen Raum. Zahlreiche Formen der Erinnerung waren in diesen Kulturen als eine Form „mentaler Prävention“ allgegenwärtig, von deutlich sichtbaren Hochwassermarken bis hin zu Hauschroniken über Lawinenabgänge. Mit der „Zähmung“ von Naturgefahren durch Flussbegradigungen und Schutzbauten aller Art v.a. seit dem 19. Jahrhundert wurden zwar kleinere und mittelschwere Ereignisse in der Regel vermieden, doch kamen dann schwere umso überraschender und trafen die Bevölkerung oft unvorbereitet. Ein längeres Ausbleiben von Extremereignissen, ein „disaster gap“ (Christian Pfister), konnte somit die Katastrophenhaftigkeit eines neuen Ereignisses noch deutlich erhöhen. Der Glaube, mit technischen Vorkehrungen die Naturgefahren in den Griff zu bekommen, wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts vielerorts erschüttert: Hochwasserkatastrophen wie 2002 in weiten Teilen Mitteleuropas, Lawinenereignisse wie 1999 in Galtür (Tirol) wurden teilweise zum Weckruf für einen veränderten Umgang mit den oft über Jahrzehnte verdrängten Risiken. Hinsichtlich der Erinnerungskulturen lassen sich dabei unterschiedliche Trends festmachen, die am Beispiel von Lawinen und Hochwassern näher beleuchtet werden sollen: Während etwa in Galtür in die neu gebaute Lawinenschutzmauer das „Alpinarium“, ein Kulturzentrum mit Gedenkfunktion, integriert wurde, wird andernorts diese Gefahr ausgeblendet, um touristische Großprojekte wie in Andermatt (Kanton Uri) nicht zu gefährden. Im Donauraum wurden nach 2002 an einigen betroffenen Orten sogar ganze Siedlungen verlegt, wohingegen anderswo die Erinnerung mittels Hochwassermarken offenbar bewusst nicht mehr fortgeführt wurde.

 

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